Schwerpunkt: „Musealisierung“ vs. Bestandssicherung? „Selbstvermarktung“ oder „Selbstvergewisserung“?
Über die fünf Jahrzehnte der Pop-Dekadentagungen stand skurrilerweise die internationale „Pop-Kultur“ außerhalb der Diskussion und praktischerweise die eigenen, auch sozialen oder im doppelten Sinne provinziellen Befindlichkeiten im Vordergrund.
Dabei wäre durchaus auch die internationale Bedeutung der deutschen „Pop-Musik-Kultur“ zu befragen gewesen, zumal der Stellenwert der multinationalen Alltagskultur, die bereits seit den Siebzigerjahren zugleich ein bedeutsamer Wirtschafts- und Steueraufkommensfaktor war, mit Blick auf die kulturpolitischen Fragestellungen jedoch verschämt ausgeblendet worden war.
Anders als im eigenen Land wurden „deutsche“ Pop-Produkte außerhalb oft ganz anders wahrgenommen:
So wird beispielsweise in Großbritannien die Ära der deutschen Siebzigerjahre-Bands (beispielsweise Can, Tangerine Dream, Amon Düül, Kraftwerk) trotz des ironischen Etiketts „Krautrock“ geradezu verehrt.
Die „neue deutsche Welle“ der Achtziger fand in Japan (Alphaville aus Münster) und in den USA Anhänger (beispielsweise Nena aus Berlin). Hits wie „DaDaDa“ (Trio aus Großenkneten) wurden sogar in Südamerika, insbesondere Brasilien, bis heute begeistert gecovert.
Die Neunzigerjahre und das neue Jahrtausend überraschten mit deutschen „Weltmusik“-Produktionen, beispielsweise den Bulgarischen Stimmen (die in New Yorker Diskotheken zum Kult wurden, obwohl in Bremen aufgenommen) und den Dissidenten (die in Nordafrika eine zeitlang die Charts anführten und aus München kommen).
Inzwischen werden sogar skandinavische Acts wie die Jazz-Pop-Sängerin Kari Bremnes und britische Künstler wie die ehemalige Hit-Formation The Sparks von Deutschland aus (beide wurden seit langem in Hamburg-Harburg, einem Gründungsort einer der ersten „Musikerinitiaiven“ gemanagt) vertrieben (bis vor kurzem auch Adele) beziehungsweise sogar produziert.
Gleichwohl ist diese erfolgreiche „deutsche“ (???) Alltagskultur dem Vergessen preisgegeben.
Zwar gibt es erste, private und kleinteilige Archivierungsbemühungen wie das Archiv der Jugendkulturen in Berlin oder gar ambitionierte „Museumsinitiativen“ von Laien wie in Gronau, einer Gedenkstätte zu Lebzeiten für Udo Lindenberg. Hier wird mit „Dokumenten“ und Artefakten gearbeitet, was dem Genre und der Aufgabenstellung nur im Ansatz gerecht wird. Szenen organisierten private Archive wie in Köln und Mannheim.
Das Wissen um die Entwicklung und Bedeutung von deutscher Rock- und Popkultur ist jedoch bislang weder systematisiert, noch katalogisiert oder gar der (internationalen) Wissenschaft erschlossen, was für eine künftige Entwicklung dieses Kultur- und Wirtschaftszweiges unverantwortbar ist. So lagern (und verrotten) in den „Schallarchiven“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Ton- und Bilddokumente nahezu aller bedeutsamen („deutschen“) Rockproduktionen, die einer restaurierenden oder bewahrenden Bearbeitung bedürften (beispielsweise durch Digitalisierung) und die sogar einer weiteren Verwertung im Sinne der Urheber erschlossen werden könnten.